Human Rights Film Week

Bericht von der Teilnahme an der Human Rights Film Week der FH Würzburg-Schweinfurt

von Ins A Kromminga, Sprecher_in IVIM/OII Germany

Am 11. Dezember 2008 war ich von der Hochschule für angewandte Wissenschaften Fachhochschule Würzburg-Schweinfurt zur Human Rights Film Week eingeladen worden [Veranstaltungsflyer pdf], um einen Vortrag zum Thema Intergeschlechtlichkeit zu halten. Die zirka 100 sehr interessierten Besucher_innen schauten sich folgend den Film von Lucía Puenzo „XXY“ an, um anschließend in einer etwas „kleineren“ Runde (30-40 Menschen) an der regen Diskussionsrunde teilzunehmen.

Dem Themenschwerpunkt der Filmwoche entsprechend ging es bei meinem Vortrag insbesondere um die Frage der Menschenrechtsverletzungen an intergeschlechtlichen Menschen. Aus aktuellem Anlass des diesjährigen Erscheinens der Yogyakarta-Prinzipien zur Anwendung der Menschenrechte in Bezug auf die sexuelle Orientierung und geschlechtliche Identität in der deutschen Übersetzung [ als pdf herunterladen ] stellte ich die für intergeschlechtliche Menschen relevantesten Punkte vor. In den Prinzipien wird Intergeschlechtlichkeit unter dem Begriff geschlechtliche Identität gefasst. Dies funktioniert m.E. aufgrund der mit Bedacht gewählten Formulierung:

ZITAT:
„Unter „geschlechtlicher Identität“ versteht man das tief empfundene innere und persönliche Gefühl der Zugehörigkeit zu einem Geschlecht, das mit dem Geschlecht, das der betroffene Mensch bei seiner Geburt hatte, übereinstimmt oder nicht übereinstimmt; dies schließt die Wahrnehmung des eigenen Körpers (darunter auch die freiwillige Veränderung des äußeren körperlichen Erscheinungsbildes oder der Funktionen des Körpers durch medizinische, chirurgische oder andere Eingriffe) sowie andere Ausdrucksformen des Geschlechts, z.B. durch Kleidung, Sprache und Verhaltensweisen, ein.“

Die Yogyakarta-Prinzipien, die in 2006 im indonesischen Yogyakarta unter anderem mit dem Inter*Aktivist_en Mauro Cabral erarbeitet wurden, bewerten wir von IVIM als sehr positiv für unsere Forderungen um Selbstbestimmung und körperlich-psychische Integrität, auch wenn uns einige Stellen in Bezug auf Intergeschlechtlichkeit noch ausbaufähig erscheinen.

Hier die m.E. für intergeschlechtliche Menschen relevantesten Prinzipien:

PRINZIP 3 – Das Recht auf Anerkennung vor dem Gesetz
„Jeder Mensch hat das Recht, überall als rechtsfähig anerkannt zu werden. Menschen mit unterschiedlicher sexueller Orientierung und geschlechtlicher Identität müssen in allen Lebensbereichen in den Genuss der Rechtsfähigkeit kommen. Die selbstbestimmte sexuelle Orientierung und geschlechtliche Identität jedes Menschen ist fester Bestandteil seiner Persönlichkeit und eines der grundlegenden Elemente von Selbstbestimmung, Würde und Freiheit. Niemand darf als Voraussetzung für die rechtliche Anerkennung seiner geschlechtlichen Identität gezwungen werden, sich medizinischen Behandlungen zu unterziehen, darunter operativen Geschlechtsanpassungen (sex reassignment surgery), Sterilisationen oder Hormonbehandlungen. Kein rechtlicher Stand, wie beispielsweise die Ehe oder die Elternschaft, darf als Grund angeführt werden, um die rechtliche Anerkennung der geschlechtlichen Identität eines Menschen zu verhindern. Es darf auf keinen Menschen Druck ausgeübt werden, seine sexuelle Orientierung oder geschlechtliche Identität zu verbergen, zu unterdrücken oder zu verleugnen.“

Prinzip 17 – Das Recht auf das höchstmögliche Maß an Gesundheit
„Jeder Mensch hat das Recht auf den bestmöglichen Zustand seiner körperlichen und geistigen Gesundheit ohne Diskriminierung aufgrund seiner sexuellen Orientierung oder geschlechtlichen Identität. Sexuelle und reproduktive Gesundheit sind ein grundlegender Bestandteil dieses Rechts.“

An dieser Stelle sollte noch beachtet werden dass die reproduktive Gesundheit oder das Recht auf Fortpflanzungsfähigkeit nicht als PFLICHT auszulegen ist. Denn leider ist genau dies häufig die Rechtfertigung schwerster medizinischer Eingriffe an nicht-einwilligungsfähigen Kindern, um eine potentielle oder hypothetische Fortpflanzungsfähigkeit zu erstellen ohne dabei auf die zukünftigen Wünsche der betreffenden Person Rücksicht zu nehmen. Die Wahrung der körperlichen Integrität und Unversehrtheit, eigentlich grundlegende Menschenrechte, werden bei Fragen der möglichen Fortpflanzungsfähigkeit als sekundär eingestuft. Hier wird mit einer vermeintlich medizinischen Indikation jede (menschen-)rechtliche Verantwortung zurückgestellt und die Definitionsmacht an die Medizin übergeben.

Prinzip 18 – Das Recht auf Schutz vor medizinischer Misshandlung
„Niemand darf aufgrund seiner sexuellen Orientierung oder geschlechtlichen Identität gezwungen werden, sich irgendeiner Form von medizinischer oder psychologischer Behandlung, Untersuchung oder Maßnahme zu unterziehen, oder in eine medizinische Einrichtung eingewiesen werden. Entgegen anders lautender Beurteilungen sind die sexuelle Orientierung und die geschlechtliche Identität eines Menschen an und für sich sich keine Erkrankungen und sollen daher nicht behandelt, geheilt oder unterdrückt werden.“

Hier ist es interessant sich noch einmal die Antworten der deutschen Bundesregierung auf die verschiedenen Anfragen der PDS (zuletzt im Jahr 2007) zur Situation intersexueller Menschen in Deutschland anzuschauen. Die Bundesregierung hat dort immer wieder eine gesellschaftspolitische Verantwortung zurückgewiesen und die Problematik als medizinisch-psychologisches Spezialproblem gewertet und so keinen politischen Handlungsbedarf gesehen.
[ Deutscher Bundestag, Drucksache 16/4786 vom 22.03.2007 ]

Mit dem Erscheinen der Yogyakarta-Prinzipien präsentiert die Bundesregierung jedoch eine ganz andere Position zu menschenrechtlichen Forderungen auf Basis der sexuellen Orientierung und geschlechtlichen Identität, die ja ganz explizit Intergeschlechtlichkeit mit einbezieht.

Die Bundesregierung, die nach eigener Aussage auf internationaler Ebene seit Jahren konsequent gegen Diskriminierung sexueller Minderheiten eintritt, betrachtet die Yogyakarta-Prinzipien als einen wichtigen Beitrag der Zivilgesellschaft. (meine Hervorhebung) Dieser sei geeignet, die Debatte zum Thema Diskriminierung aufgrund sexueller Orientierung und Geschlechtsidentität zu versachlichen, teilt die Regierung in ihrer Antwort (16/7658) auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion (16/7454) mit. Die „Yogyakarta-Prinzipien zur Anwendung internationaler Menschenrechtsnormen und -standards in Bezug auf sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität“ sind laut Regierung das Ergebnis eines von mehreren im Bereich der Menschenrechte tätigen nichtstaatlichen Organisationen getragenen Projekts mit dem Ziel, die Anwendbarkeit bestehenden Völkerrechts auf Menschenrechtsverletzungen aufgrund sexueller Orientierung und Geschlechtsidentität dazulegen.“
http://www.bundestag.de/aktuell/hib/2008/2008_020/06.html

Es bleibt zu hoffen das sich die Bundesregierung mit der Begrüßung der Yogyakarta-Prinzipien auch ihre Wahrnehmung zur Problematik der bisherigen Umgangsweise mit intergeschlechtlichen Menschen ändern und endlich unsere Forderungen ernst nehmen wird.

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